Mein erster Eindruck von Santiago de Chile?

Überraschend.

Vor allem deshalb, weil sich viele Dinge von denen ich im Vorhinein eigentlich wusste, in der Realität nochmal ganz anders anfühlen.

Kalt erwischt werde ich zu aller erst vom Wetter: die Winterluft ist das erste, was mir bewusst auffällt, als ich in Santiago aus dem Flughafengebäude auf die Straße trete. Ich wusste zwar, dass hier momentan Winter ist, aber bei täglich ca. 35 Grad in Deutschland konnte ich mir kaum vorstellen, wie sich so ein plötzlicher Temperaturwechsel anfühlt. Vor allem in der ersten Woche macht mir die Kälte wirklich zu schaffen, weil unser Gas leer ist und wir deshalb ein paar Tage lang nur kalt duschen und nicht kochen können. Eine Heizung haben wir auch nicht, nur einen kleinen Gasofen, der im Wohn-/Esszimmer steht. Schlafen kann ich hier nur mit Wärmflasche und Schlafsack unter der Bettdecke. Dann fällt in der ersten Woche auch noch unser Wlan aus, da unsere Vormieter wohl vergessen haben, die letzte Rechnung zu bezahlen. Durch diese Gegebenheiten wird mir wieder mal bewusst, dass es sich bei Dingen, die für mich in Deutschland mehr oder weniger selbstverständlich sind, eigentlich um große Privilegien handelt.

Was mir außerdem auffällt, sind die unglaublich vielen Menschen, die in Santiago leben. Recoleta (der Stadtteil in dem wir wohnen), weckt bei mir eher Assoziationen an ein ruhiges, „kleinstädtisches“ Leben. Dementsprechend bin ich immer wieder überrascht, wenn wir ein paar Stationen mit der Metro fahren, auf die Straße treten und auf einmal von Wolkenkratzern und Menschenmassen umgeben sind. Die Metro ist nochmal ein Thema für sich. Während der Rushhour fühlt sich Metrofahren an, wie der pure Kampf ums Überleben. Sobald man einmal am Gleis steht verliert man jegliche Bewegungsfreiheit und wird von den Menschenmassen in Richtung der Türen geschoben. Da heißt es dann: Ellenbogen ausfahren, versuchen nicht umgerannt zu werden und hoffen, dass man noch von den Mitarbeitern am Gleis in den Waggon gedrückt wird bevor sich die Türen schließen. Mit Rücksichtnahme kommt man hier anscheinend nicht weit. Alle drängeln, obwohl die nächste Bahn schon in höchstens zwei Minuten kommt. Zum Glück muss ich nach dem Sprachkurs nicht mehr während der Rushhour mit der Metro fahren, zur Kinderkrippe komme ich zu Fuß. Ja, richtig gelesen: KinderKRIPPE. Auch hier hat sich noch eine Überraschung aufgetan: Ich werde in der Kinderkrippe eingesetzt und nicht, wie ich bis zum Tag meiner Ankunft hier dachte, im Kindergarten. Glücklich bin ich darüber im ersten Moment nicht unbedingt. Zum einen hatte ich noch nie mit so kleinen Kindern zu tun, zum anderen hatte ich mir erhofft, auch durch die Gespräche mit den Kindern meine Spanischkenntnisse verbessern zu können. Krippenkinder können nicht sprechen. Glaube ich zumindest. Wie gesagt, ich habe wirklich absolut keine Ahnung von diesen kleinen Menschen.

Wovon ich ebenfalls noch keine Ahnung habe, ist der chilenische Peso: Eine Währung, die für mich schwer zu begreifen ist. Abgesehen davon, dass es für ein und den selben Geldwert unterschiedliche Münzen gibt, sind die Größenordnungen einfach etwas komplett anderes als das, was ich aus Deutschland gewohnt bin. 750 Pesos entsprechen je nach Wechselkurs ca. einem Euro. Wenn ich dann z. B. auf dem Markt für mehrere tausend Pesos einkaufe, bin ich oft extrem verwirrt, weil mein deutsches Verständnis für Geldmengen hier nicht mehr mitkommt. Generell wird es denke ich noch dauern, bis ich ein Gefühl dafür entwickelt habe, welche Preise für bestimmte Waren hier günstig, angemessen oder teuer sind.

Trotz aller Überraschungen und unvorhergesehenen Zwischenfälle fühle ich mich bis jetzt wirklich wohl hier. Die Casa Amistad (Haus der Freundschaft) fühlt sich jeden Tag mehr an wie mein Zuhause. Auch meine Mitbewohner tragen dazu bei, dass ich hier wirklich gerne meine Zeit verbringe. Ich bin gespannt, wie lange es dauern wird, bis sich dieses „Zuhause-Gefühl“ auf andere Orte, Menschen usw. ausbreiten wird.

So weit, so gut.

In Kürze mehr.

Emily

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Maria (Donnerstag, 30 August 2018 14:07)

    Liebe Emily,
    es ist so schön, dass Du uns an den Herausforderungen des Eingewöhnens und an deinem Leben in Santiago teilhaben lässt. Wie gut, dass du dich trotz der Alltagsprobleme in Eurer WG bereits ein bisschen "zu Hause" fühlst. Ich bin sehr gespannt, wie es weiter geht, wenn du nächste Woche in der Krippe zu arbeiten beginnst. Nur am Rande: Kinder mit ca 20 Monaten sprechen zwischen 50 und 200 Worten ;-). Viel Spaß mit den Zwergen und alles Liebe für dich, Mumin

  • #2

    Oliver Hauss (Donnerstag, 30 August 2018 16:29)

    Hallo Emily

    Ganz toller erster Bericht. Es ist sehr anschaulich, wie Sie uns mit auf Ihr Abenteuer mitnehmen. In Teilen fühle ich mich an meine Jahre in Neapel versetzt.
    Ich freue mich sehr zu lesen, dass Ihre Wohnung immer mehr Ihr Heim wird und Ihre Mitbewohner zu vertrauten Partnern werden.

    Freue mich auf die Fortsetzung, wenn Ihr Job es erlaubt.

    Herzlichst, Oliver

  • #3

    Hubert Miesauer (Mittwoch, 12 September 2018 19:26)

    Hey Emmy,
    ich bin sicher, dass du diese doch recht große Herausforderung souverän bewältigen wirst, so habe ich dich auf alle Fälle kennen- und auch schätzengelernt. Kleine Parallele: Auch ich habe heute unsere Zwerge (5. Klasse) zum ersten Mal im Unterricht gehabt, ist auch fast wie in der Krippe gewesen, da bin ich sicher. Bis bald mal!
    Dein Ex-Pauker