Arbeitsalltag

Nun bin ich schon knapp vier Monate in Santiago. Und mit der Zeit kommt die Routine. Daher wird es vielleicht einmal Zeit, für eine genauere Beschreibung meines Arbeitsalltags. Deshalb folgt nun ein Auszug meines Quartalsberichts für Cristo Vive, dessen Schwerpunkt diesmal die Arbeitsstelle und unsere Aufgaben dort darstellen sollten. Kein sprachliches Meisterwerk und der Spannungsbogen lässt zu wünschen übrig. Nichtsdestotrotz ein Thema, welches hier einen großen Teil meiner Zeit und Energie in Anspruch nimmt, den ein oder anderen vielleicht auch interessiert und daher auf diesem Blog seinen Platz verdient hat.

 

Ich arbeite in der Sala Cuna Naciente in Recoleta. Zuerst durfte ich jede Tag eine andere der vier Salas besuchen und mir dann diejenige aussuchen, in der es mir am besten gefallen hat. Ich habe mich für die Sala Mayor B entschieden. Zum einen, da die Kinder dort schon etwas älter sind (knapp zwei Jahre) und mir die Arbeit mit ihnen leichter fällt als mit den ganz kleinen Babys. Zum anderen, da mir die Tias sympathisch erschienen. 

Mit den Kindern komme ich gut zurecht. Mir gegenüber zeigen sie zwar eher weniger Respekt, das kann ich aber absolut nachvollziehen, denn wenn mal geschimpft werden muss fehlen mir oft aufgrund meines sprachlichen Defizits die Worte. Aber sie zeigen mir gegenüber Vertrauen, suchen meine Nähe und erinnern sich mittlerweile sogar an meinen Namen. Am Anfang hatte ich Sorgen, dass ich, da die Kinder kaum sprechen können, Probleme haben werde die Sprache zu lernen, aber mittlerweile habe ich das Gefühl, dass das kein Hindernis darstellt, da die Tias sehr viel mit den Kindern sprechen und hier auch einfache Formulierungen und Sätze verwenden, die ich besser verstehe, als wenn die Tias untereinander reden. 

Auch mit meinen Arbeitskolleginnen verstehe ich mich gut. Sie haben teilweise schon langjährige Erfahrung mit Freiwilligen und geben sich meistens Mühe, mit mir zu kommunizieren und mich zu integrieren.

Ein gewöhnlicher Arbeitstag sieht für mich so aus: um 8:30 Uhr komme ich in der Sala Cuna an. Meistens sind zu diesem Zeitpunkt noch keine Kinder da. Ich begrüße die Tias die schon da sind – natürlich mit dem obligatorischem Kuss auf die Wange - und beginne damit, Stühle und Tische, die am Vortag nach drinnen gebracht wurden nach draußen zu tragen oder andere kleine Aufgaben zu erledigen (wie z. B. Küchenpapier in Stücke zu reißen, damit es zum Hände und Kinderpopos trocknen benutzt werden kann). Nach und nach kommen dann die ersten Kinder und bekommen ihre Milch. Manche müssen zum Trinken animiert werden, bei anderen ist das nicht nötig. Je nachdem, ob mir eine bestimmte Aufgabe zugeteilt wird („Emily – te pide un favor, porfiii?“) oder eben nicht, erledige ich diese Aufgabe oder spiele einfach ein bisschen mit den Kindern, schaue mit ihnen ein Buch an oder unterhalte mich mit den Tias, soweit meine begrenzten Sprachkenntnisse das zulassen. Was die Sprache betrifft kann ich sagen: mir wurde zwar schon zu Beginn signalisiert, dass ich mich wohl relativ gut verständigen könnte, bei mir kehrt aber jetzt erst langsam das Gefühl ein, mich sicherer ausdrücken zu können. Nach ca. einer Stunde setzen wir Tias und die Kinder uns hin, jedes Kind bekommt einen Keks, es wird kontrolliert, wer alles da ist und wir singen ein paar Lieder. Danach geht es meistens nach draußen in den Patio, während eine der Tias drinnen die erste Aktivität vorbereitet, von denen es am Tag zwei bis drei gibt. Mittlerweile wurde mir auch gezeigt wie man wickelt. Zu bestimmten Zeiten am Tag werden alle Kinder nacheinander gewickelt. Ich helfe meistens bei mindestens einer Wickelrunde, oft ist es die erste am Morgen. Es folgt die erste Aktivität, danach wieder freie Spielzeit im Patio. Zwischen 11 und 12 Uhr räumt eine Tia (oft ich) Stühle und Tische für das Mittagessen in die Sala. Danach werden die Kinder vom Patio nach drinnen geholt, ihnen werden die Hände und das Gesicht gewaschen und jedem ein Latz umgebunden. Dann bekommt jedes Kind sein Essen und zwei Löffel – einen um selbst zu essen und einen, mit dem wir Tias helfen (sprich füttern) können. Manche Kinder essen sehr gut alleine, andere brauchen Hilfe, da sie sonst zu langsam sind und wieder andere wollen einfach nicht essen – da braucht es dann schon eine der ( zum Glück sehr erfahrenen und im Gegensatz zu mir von den Kindern respektierten) Tias. Nach dem Mittagessen räume ich wieder Stühle und Tische nach draußen, zwei Tias fangen an zu wickeln und ich helfe dadurch, dass ich entweder die Betten für die Kinder vorbereite oder dabei, die Kinder auszuziehen und jedem Kind saubere Kleidung in sein Bett lege (beschleunigt den Prozess des Anziehens nach dem Mittagsschlaf). Dann legen sich die Kinder, die fertig mit Wickeln und Umziehen sind hin und eins nach dem anderen wird zum Schlafen gebracht (z. B. durch „auf-den-Rückenklopfen“ oder „über-die-Augen/Nase-streichen“). In dieser Zeit, einem der wenigen ruhigeren Momente am Tag, haben die Tias Zeit sich zu unterhalten. Das gibt mir die Gelegenheit, aufmerksam zuzuhören, in der Hoffnung so viel wie möglich zu verstehen oder auch nachzufragen, wenn ich das Gefühl habe, es gibt etwas, das ich wissen müsste. Es passiert nämlich immer wieder, dass auf einmal wie aus heiterem Himmel ein Fest gefeiert wir oder wir eine außerroutinemäßige Aktivität durchführen, von der ich nicht die leiseste Ahnung habe. Da gilt dann: einfach mitmachen und aufmerksam sein, um zu erkennen, wo man gebraucht werden könnte. Das erste Fest von dem ich wusste, war ein interkulturelles Fest, bei dem meine Mitfreiwillige Rebecca und ich gebeten wurden, einen Stand mit typisch deutschem Essen vorzubereiten. Unser Tisch mit Donauwelle, Apfelkuchen, Obatzter,  Sauerkraut usw. kam sehr gut an (meine Tias wünschen sich jetzt alle Donauwelle zu ihrem Geburtstag). 

Wenn alle Kinder schlafen gibt es Mittagessen. Nach der Mittagspause (45 Minuten) warten wir noch eine Weile, dann fangen wir damit an, die Kinder, die schon wach sind anzuziehen und die anderen nach und nach aufzuwecken und ebenfalls anzuziehen. Es werden wieder Stühle und Tische in die Sala gebracht und wieder bekommen die Kinder Milch. Ich bewaffne mich meistens mit einer Box Taschentücher um zu vermeiden, dass Milch, die auf dem Tisch, Boden oder der Kleidung verschüttet wurde von den Kindern noch weiter verschmiert wird. Nach der Milch folgt wieder eine von den Tias geplante Aktivität. Danach wieder Patiozeit. Meistens werden die Kinder gegen 16:00 – 16:30 Uhr abgeholt. Irgendwann in diesem Zeitraum ist es meistens meine Aufgabe, alle Möbel aus der Sala nach draußen zu räumen, damit in der Sala der Boden gewischt werden kann. Danach bringe ich die Möbel wieder nach drinnen. Um 17:00 Uhr beginnt die Extensión, eine verlängerte Betreuung für die Kinder, die aufgrund der Berufstätigkeit ihrer Eltern bis abends in der Sala Cuna bleiben müssen. Das ist auch der einzige Zeitraum, in dem ich mit meiner Mitfreiwilligen Rebecca zusammen arbeite – in der Extensión helfen wir beide – meist einfach dadurch, dass wir uns mit den Kindern beschäftigen. Um 17:30 endet mein Arbeitstag. Ich verabschiede mich von den Tias und Kindern, treffe mich mit meinen Mitbewohnern, die im Jardin und Hogar arbeiten und wir gehen nach Hause. 

Nach der Arbeit bin ich oft sehr müde und kaputt. Aber jetzt, da das Wetter besser wird und es länger hell ist, bin ich oft nicht mehr so geschafft wie zu Beginn. Den Feierabend fülle ich häufig mit Sport, drei mal pro Woche wird im Estadio Municipal de Recoleta umsonst ein Cardio und Krafttraining angeboten, das auch einige der Tias aus der Sala Cuna und dem Jardin besuchen. Hier finde ich einen – für mich perfekten  - Ausgleich zum Arbeitstag. Danach bleibt aber nicht mehr viel Zeit für anderes. Ich versuche so bald wie möglich ins Bett zu gehen, um am nächsten Tag fit für die Arbeit zu sein. Organisatorisches wie z. B. wichtige E-Mails beantworten oder Telefonate führen muss dementsprechend meist aufs Wochenende verschoben werden. Nichtsdestotrotz bin ich froh, dass sich fast wie von selbst eine Alltagsroutine geschaffen hat, die es mir leicht gemacht hat, mich hier einzuleben und dazu beiträgt, dass ich mich sehr wohlfühle.

Bisher bin ich ganz zufrieden damit, in welchem Umfang ich bei der Arbeit, trotz Sprachbarriere, helfen kann. Dinge, die mich bisher etwas gestört haben, wie z. B. Festivitäten, die für mich gefühlsmäßig wie aus dem Nichts (weil niemand mir Bescheid gesagt hat) auf einmal die ganze Sala Cuna auf den Kopf stellen oder die Tatsache, dass ich mich nicht durch eigene Aktivitäten einbringen kann, sind ab jetzt hoffentlich kein Problem mehr. Der Grund dafür: Ich war heute zum ersten Mal bei einer Reunión dabei, einer Besprechung, bei der sich alle Tias mit der Chefin der Sala Cuna zusammensetzen und die kommende Zeit planen, bzw. Vergangenes evaluieren. An diesen Reuniónes werden Rebecca und ich ab jetzt immer abwechselnd teilnehmen, während die andere in der Extensión hilft. So bekommen wir hoffentlich die nötigen Infos über alles, was in der nächsten Zeit ansteht. Außerdem wurde mir im Rahmen dieser Reunión mitgeteilt, dass Rebecca und ich ab jetzt Aktivitäten durchführen sollen. Zum einen gemeinsame Aktivitäten, die wir zusammen mit allen Salas durchführen oder wir gehen gemeinsam in jede Sala um die Aktivität dort zu machen. Und außerdem soll jede von uns „ihrer“ Sala alleine Aktivitäten durchführen. Ich freue mich darüber, dass uns das zugetraut wird, gleichzeitig bin ich aber auch ein bisschen nervös. Die Sprachbarrirere wird zwar kleiner, ist aber nach wie vor vorhanden und ich weiß nicht, inwiefern das in diesem Zusammenhang ein Problem darstellt. Außerdem hoffe ich, dass mir interessante Aktivitäten einfallen, die bei den Tias und natürlich vor allem den Kindern gut ankommen. Da muss ich mir einfach viel Mühe geben. Dementsprechend bin ich aber natürlich auch gespannt, was die kommende Zeit so mit sich bringt. 

Aber vielleicht gilt auch hier, was ich in den letzten Monaten des Öfteren gehört, aber auch am eigenen Leib erfahren habe: Geduld, Geduld, Geduld ist oft der Schlüssel.

Dementsprechend mein Vorsatz für die nächsten drei Monate: Geduld. Mit anderen aber vor allem auch mit mir selbst. Außerdem: weiterhin Offenheit und Flexibilität im Umgang mit unvorhergesehenen Situationen und Herausforderungen bewahren.

Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es.

 

Auf drei weitere aufregende Monate.

 

Emily

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Kommentare: 1
  • #1

    Hubert Miesauer (Samstag, 05 Januar 2019 15:52)

    Hey Emy,
    sehr eindrucksvolle fotos hast du gemacht.
    Marion und ich sind soeben aus unserem Jamaica-Urlaub zurück und konnten auch dort, wenn auch leider nicht so nachhaltig, viele neue Eindrücke gewinnen. Ich wünsche dir ein vor allem gesundes neues Jahr 2019.
    Hubert Miesauer